Nicht beleidigen, aber doch Selbstachtung bewahren, darum geht es für Lehrerin Anna, gespielt von Milica Jovanovic.

APA

Den größten Fehler hat er in seinem ersten Jahr gottlob vermieden. Alfons Haider hat in Mörbisch, wo er nun Generalintendant (und also auch für die Operette Sissy von Fritz Kreisler auf Schloss Tabor verantwortlich) ist, auch nicht die winzigste Bühnenrolle übernommen. Schon gar nicht hat er jene des Königs Mongkut von Siam eingenommen, die Haider im Laufe seiner Karriere ja bereits hunderte Male innehatte, und dies auch im Wiener Ronacher. Wer dabei war, hat es nicht vergessen.

Klug und verständlich der Verzicht, der ohnedies kein hundertprozentiger sein kann. Seitdem der "Neubeleber" der Mörbischer Seefestspiele, Harald Serafin, einst aus der traditionellen, den Abend ins Epische dehnenden Begrüßung eine eigene Slapsticknummer kreiert hat (die Kanzler verwechseln, Politnamen kreativ abwandeln ...), ist die Erwartung an die Begrüßungsdarsteller doch recht hoch. Besonders nachdem sich im Vorjahr der scheidende Intendant Peter Edelmann und der damals kommende (also Haider) ein interessantes Verbalscharmützel geliefert haben.

Grüß euch!

Nun aber – als Kontrast zur doch sehr farbenfrohen Bühne – herrscht offenbar eine neue Sachlichkeit der Rede: Haider begrüßt nicht nur Serafin und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der mit seiner tatsächlich angereisten Parteichefin Pamela Randi-Wagner Bussis ausgetauscht hat. EU-Kommissare, ehemalige Bundeskanzler, aktuelle Botschafter (auch der Ukraine), aktive und zurückgetretene Landespolitik und alle an den Seefestspielen Beteiligten werden recht nüchtern mit Erwähnungen bedacht. Hinter Haider wartet die goldige Bühnenopulenz rund um den 30 Meter hohen Turm des Königspalasts (Bühnenbild: Walter Vogelweider) längst sehnsüchtig darauf, mit Exotik betanzt zu werden.

In diesem grellen Ambiente, das Bangkoks Tempeln nacheifert, lässt Regisseur Simon Eichenberger den Rodgers-&-Hammerstein-Klassiker professionell und handwerklich tadellos agieren. Da ist eine Präzision in der Personenführung zugange, die manche Operninszenierung an arrivierten Häusern bereichern würde.

Symbole der Macht

Der König und ich ist natürlich ein Stück über den Wunsch eines kindlichen Despoten, sein Reich zu modernisieren, ohne reale und symbolische Macht abzugeben.

So konzentriert sich die szenische Gestaltung auf vertanzte und sonstige Formen der Selbstdemütigung. Da in Siam alle in gymnastisch anspruchsvoller Unterwürfigkeit vor dem König kriechen, muss es mit Anna, der Lehrerin, die Mongkut für seine Kinder engagierte, zu Konflikten kommen. Gottesgnadentum prallt auf robuste britische Bürgerlichkeit, die Selbstachtung lehrt und begehrt.

Milica Jovanovic schafft es, in monströsen Krinolinenröcken agil zu bleiben. Als wortdeutliche, klar und ausdrucksgenau singende Pädagogin ist sie das Zentrum der Aufführung. Um sie herum, zwischen all den Feuerwerken und Wasserspielen, herrscht solides Niveau, also bei Lady Thiang (Leah Delos Santos) und Tuptim (Marides Lazo).

Kein Kammerspiel

Rollengerecht arrogant Kok-Hwa Lie als König: Da ist dieses gewisse überhebliche Etwas. Die Herrscherfigur, die durch die Englischlehrerin einen Kulturschock erleidet, stellt er als unrunden Zweifler dar, der sich auch gegen kolonialistische Begehrlichkeiten wehrt. Ein diskursives Kammerspiel der Annäherung zwischen Vertretern verschiedener Kulturen – samt eurozentristischer Attitüde – ist die Inszenierung natürlich nicht. In diesem bombastischen Ambiente herrscht einfach präzises Freilufttheater, dem außer Choreografien (Alonso Barros), Akrobatik und Streitdialogen nur jene Songs fehlen, die so wirklich haften bleiben.

Am Ende stirbt der König; erst sein Sohn und Nachfolger (Vincent Bueno als Prinz Chulalongkorn) wird ein paar Rituale der Unterwürfigkeit vom Hof verbannen. Dennoch eine Art Happy End: Zu regnen begann es in Mörbisch erst nach Ende der Vorstellung.

(Ljubisa Tosic, 15.7.2022)